Vom Segen der Wiederholung
„Oh nee, Papa: Das ist doch immer dasselbe! Total langweilig!“ Mit diesen oder ähnlichen Worten reagieren unsere Söhne manchmal, wenn wir sie in die Sonntagsmesse mitnehmen wollen. – Klar, wir Menschen brauchen Abwechslung. Das Neue zieht uns an. Wiederholungen langweilen uns auf die Dauer. Wir werden einer Sache schließlich überdrüssig. Sie bewegt nichts mehr in uns. „Alle Jahre wieder“ sagen wir seufzend, wenn wir genervt sind von der Wiederkehr des immer Gleichen.
Hat das Kirchenjahr in einem solchen Denken nicht schlechte Karten? Ja, der Advent ist da. Wieder einmal. Pünktlich steht der adventliche Kranz auf dem Tisch. Um keine Langweile aufkommen zu lassen, wechseln wir vielleicht jährlich die Farbe der Kerzen und Bänder. Für dreieinhalb Wochen werden Lieder gesungen wie „Macht hoch die Tür“. Aber was fangen wir damit an? Kann die sich wiederholende adventliche Zeit überhaupt noch etwas bewirken?
Aber zum Leben gehört die Wiederholung. Der regelmäßig wiederkehrende Rhythmus. „Wir waschen uns doch auch jeden Tag und genießen das Erfrischtsein“, so hat der evangelische Theologe Otto Betz einmal formuliert. Jeden Morgen freuen wir uns neu über den Duft des Kaffees oder der frischen Brötchen. Und niemand käme beim Sonnenaufgang auf die Idee, sich darüber zu beschweren, dass es immer noch dieselbe ist wie am Vortag. So wie wir die Sonne immer wieder neu anschauen und genießen können, kann das Längstbekannte sich auch in anderen Lebensbereichen als etwas Neues darstellen, als etwas Abenteuerliches oder Rätselhaftes, mit dem wir trotz Wiederholungen nicht fertigwerden. Es gibt ja auch Bilder, Melodien und Texte, die wir immer wieder betrachten, hören und bestaunen. Sie taugen zum „Wiederkäuen“ und ermöglichen manchmal sogar nach Jahren noch überraschende Entdeckungen.
Im Kirchenjahr und in der Liturgie haben wir es mit Wiederholungen zu tun. Es wird uns zugemutet, die gleichen Gebetstexte zu sprechen oder zu hören, die gleiche Gebärdensprache zu benutzen, die vertrauten Lieder zu singen. Die immer wiederkehrenden Festzeiten im Kirchenjahr wollen nicht aufdringlich sein. Sondern sie wollen eine vertiefte Begegnung ermöglichen. Sie erinnern an die jahrtausendealte Geschichte Gottes mit den Menschen, die mit uns heute weitergeht.
Wenn ich zu etwas, was mir schon öfter begegnet ist, frustriert und vielleicht auch etwas herablassend „Alle Jahre wieder!“ sage, dann habe ich es innerlich schon abgeschrieben, ich erwarte mir davon nichts mehr. Der Advent bietet uns erneut die Chance, in seinen alten Bräuchen und in den vielen Wiederholungen unseres Lebens neue Entdeckungen zu machen: Aus einem „Alle Jahre wieder!“ kann so ein kostbarer Schatz und ein echter Segen werden.
Eine entdeckungsreiche Adventszeit
wünscht Ihnen
Thomas Equit